Ein 96´Dom Perigon bei Berliner Luft und Nacht oder die Abgründe der Gastronomie!

Gastbeitrag von Konrad Finsterbusch, IHK geprüfter Sommelier, Berlin

Dekadenz ist so schön, jedoch sehr kurzweilig. Anfang August, es ist heiß in Berlin, die Sonne knallt und die gastronomischen Objekte machen ihren Umsatz mit kalten Getränken. Die Gäste sind „anders“ als in der Winterzeit. Hitze, Lärm und Stress in der Großstadt gehen an niemandem ohne Blessuren vorbei. Der gelernte Restaurantfachmann, immer auf der Suche nach Gästen, denen er seine Passion und sein Wissen über Produkte vermitteln kann – und immer auf die Hervorhebung des eigenen Produktes bedacht; für ihn ist diese Sommerzeit ein notdürftiges Übel seines Berufes. Er muss bei schönstem Wetter arbeiten, ist den sommerlich zermürbenden Faktoren ausgesetzt, und dann noch dieses schnelllebige Geschäft…Dann kommt die Zeit der Erlösung, er hat „Ausgang“. Was wie eine Diskriminierung klingt – wir sind ja schließlich keine Knackis – bedeutet in unserem Job „FREI“. Es fühlt sich an wie grenzenlose Freiheit, wie „völlig losgelöst…“, ist jedoch begrenzt. Die kurze Zeit des Ausgangs nutzt der Gastronom, wie sollte es anders sein, um bedient zu werden. Entspannen und andere für sich arbeiten lassen. Er möchte den Service, den er bietet auch gerne für sich in Anspruch nehmen. Auch wenn es nur das Servieren eines alkoholfreien Erfrischungsgetränkes im Sommer ist. Wie niederträchtig die Gastronomie sein kann…Meistens Anfang der Woche bilden sich dann kleine oder größere Gruppen von Menschen, welche völlig frei drehen. Was kostet die Welt, nur das heute zählt und einfach mal sinnlos Spaß haben, um einen Ausgleich von dem anstrengenden „Selbstverständlich, sehr gerne…“zu finden. So ähnlich war es auch an diesem besagten Abend im August. Unsere Gruppe bestand aus sechs gelernten Fachkräften, welche mal ein großartiges Team stellten, deren Wege sich jedoch irgendwann mal getrennt haben. Nach zwei Jahren des Nichtsehens hat man sich viel zu erzählen. Jeder hat Erfahrungen gesammelt und sich weiterentwickelt, was verbindet sind die prägenden Momente des Zusammenarbeitens oder – seins. Ob es das verkrampft komische Halten des Tabletts, ein bestimmter Blick in einem Gastgespräch oder einfach nur die Aussprache bestimmter Käsesorten ist – dies sind die Momente, über die man sich Jahre später noch auslassen kann. Er trank CAMPARI und Sie saß SO DA. Die Nerven liegen BLANC DE BLANCS. Primitivität und Genialität liegen in der Gastronomie erschreckend nah beieinander. Der Abend begann mit ausreichend Aperitif bei lauem Lüftchen in einem bekannten wie authentischen Berliner Restaurant in Mitte unter Baugerüsten. Das ist Berlin. Berlin ist anders – laut, aber mit Herz, dreckig und doch schön, Multikulti und doch eine Familie, Baustelle und doch originell in der spartanischen Gehwegbestuhlung …Gerade das mag der Gastronom. Es muss nicht alles perfekt sein, nur es muss stimmen. Nach der Aperorunde wurde ausgiebig bestellt…die arme Küche, aber denkt mal jemand an uns? Vorspeisen ausbalanciert von der Geschmacksentfaltung und geradlinig von der Anrichteweise. Auch die Hauptgänge finden viel Anklang, was zur guten Stimmungslage beiträgt. Frische Produkte ohne Fehl und Tadel zubereitet, ohne dass sie langweilig wirken. Hut ab! Preis und Leistung hervorragend. Der Cremant fließt und fließt endlos. Doch dann erfolgt die Krönung des Abends. Auf einen Blick hin werden neue Gläser gebracht und eine Flasche, dunkel und edel von der Ausstattung mit schöner Taille und weiblich in ihrer Form. Das Etikett verrät „96´ Dom Perignon“. Die Flasche wird geöffnet, der Druck verpufft leise. Der erste Duft nach feiner Cremigkeit und französischem Reblochonkäse macht seine Runde. Natürlich wird gleich etwas davon bestellt. Die Kombination passt wie ein Handschlag. Champus wie Käse vereinen ihre Vollmundigkeit und elegante Weichheit miteinander und verschmelzen zu einem. Je mehr sich der Schaumwein öffnet, desto mehr erquickt er unsere Nase wie auch den Gaumen. Der Gastronom ist ein verkappter Poet. Bei feinsten Produkten öffnet er sein Herz und fängt an zu philosophieren. Feine Vanille wird frei, der weihnachtliche Kipfel, ein etwas in der Natur liegengebliebener brauner Apfel und Mandelbutter ergötzen uns mit ihrer geschmacklichen Vielfalt. Zitrusspitzen in schönster Form ergänzen die schönen Anklänge von Fallobst. Die Kohlensäure gibt trotz ihrer fortgeschrittenen Reife noch den bestimmenden Kick dazu und bringt Leichtigkeit und eine weise Stilistik hinzu, als wollte uns der Schaumwein etwas über das Leben erzählen. Dieses Getränk setzt ungeahnte Emotionen frei, welche das limbische Gehirn lange prägen werden. Welch Eleganz und Geradlinigkeit das Schaumige offenbart und wie es am Gaumen wie Gold zu haften scheint, einfach nur genial. Seine Tiefgründigkeit und sein Charakter sind in sich stimmig wie auch die Fruchtausprägung und Säure sich prächtig verstehen. Ein Fest, das langsam zu Ende geht. (Leider hat diese Flasche auch nur ein Füllvolumen von 0,75 l.) Man fühlt, man könnte Berge versetzten, dabei ist dies nur ein kleiner unbedeutender Moment in unserer Welt und unserem “bescheidenen Gastroleben“ – für den es sich aber lohnt, sein Metier zu lieben. Und gerade das macht das Leben doch aus. Freude zu haben und diese mit anderen zu teilen, was gibt es Schöneres? Noch eine Flasche DomPee? Nein, man soll immer dann aufhören, wenn es am schönsten ist. Dekadenz ist so schön und ist doch so kurzweilig. Allerdings kann sie auch bedeutend langweiliger sein!